
Weltsensationen

Leseprobe
Ein kräftiger Regenschauer prasselte auf das Zeltdach des kleinen Zirkus und mischte sich mit dem rhythmischen Klatschen der Zuschauer unter der Kuppel. Dazu spielte die Musik einen Marsch: Der Beginn der Vorstellung. „Zirkus Zampanello“ stand in geschwungenen rotgoldenen Buchstaben auf einem großen Schild mit einem ebenso großen Clownsgesicht über dem Zelteingang, das von einer Lichterkette umrahmt war. Einige der Glühbirnen waren kaputt. Das Licht flackerte, ging an und aus, an und aus, wie ein letztes Aufbäumen im Todeskampf. Niemand hatte bis jetzt die Zeit gefunden, sie auszutauschen.
Seit drei Tagen regnete es nun schon. Der Boden war aufgeweicht, wie ein übervoller Schwamm. Die Pfützen auf dem Festplatz wirkten wie kleine kreisrunde Schlote, die das Wasser, das die Erde nicht mehr aufnehmen konnte, an dieser Stelle ausspuckten. Und doch regnete es weiter. Mal heftig mal weniger stark, als gelte es, Unliebsames wegzuwaschen. Ferdi, der Mann für alles beim Zirkus, kämpfte mit Sägespänen dagegen an und schüttete Schaufel um Schaufel auf die kleinen Teiche, in der Hoffnung zumindest einen Teil trockenlegen zu können. „Alles muss schön sein“, heißt die Devise bei den Zampanellis. Und nasse Schuhe sind das Letzte, was die Besucher als Erinnerung mit nach Hause nehmen sollen. Stattdessen soll ein Lachen, ein Lächeln, oder zumindest ein Schmunzeln den Weg der Zuschauer zurück in den Alltag begleiten. Vor dem Eingang stand das Wahrzeichen des kleinen Zirkus: Ein leuchtend gelber Oldtimer von Fiat. Ein Topolino von 1948, den schon der Vater vom Vater besaß und den der Direktor für Werbefahrten durch die Orte nutzte, in denen der Zirkus seine Zelte aufschlug.
„Das macht was her!“, sagte er. Ob dadurch mehr Zuschauer kamen, wusste er nicht. Doch der Direktor genoss die Fahrt mit dem knatternden Motor, der ab und an mit dem lauten Knall einer Fehlzündung besonders auf sich aufmerksam machte. Dann streichelte der Direktor das Lenkrad und redete besänftigend auf den Wagen ein, gerade so, als sei er ein wildes Tier, das beruhigt werden musste. Jetzt aber perlten an seinen runden Scheinwerfen, die an Kulleraugen erinnerten, die Regentropfen ab und es wirkte so, als vergösse er ein paar Tränen.
„Zirkus! Willkommen in der Welt der Träume.“ So hat es Direktor Zampanello ins neue Programmheft zur aktuellen Saison geschrieben, das am Kassenwagen auslag. So stand es zwar auch schon im letzten Programmheft und in dem davor. Doch Direktor Luigi Zampanello hatte dafür lange überlegt und den Satz für gut befunden. Es ist nicht so leicht, die richtigen Worte zu finden. Es ist einfacher, mit einem Traktor einen Anhänger auf einer aufgeweichten Wiese an den rechten Platz zu manövrieren. Aber Welt der Träume – das passte. Sicherheitshalber fragte er seinen Vater um Rat. Der hatte schließlich ebenfalls Zirkusblut. „Was würdest du sagen, um uns zu beschreiben? Sollen wir den Satz verändern, oder bleibt das so?“ Senior Zampanello nahm das Papier in Hand, schaute kurz, las die geschriebenen Zeilen leise vor sich hin murmelnd und nickte schließlich.
„Das ist Zirkus“, sagte er. Und damit war es gut. „Warum ändern, was gut ist?“
Das Einzige, was die Träume stört, ist der Regen. Denn im Traum scheint immer die Sonne. Deswegen sind die Zampanellis nicht gut auf schlechtes Wetter zu sprechen. Schlechtes Wetter schlägt aufs Gemüt, vor allem aber auf die Zirkuskasse. Ferdi warf eine letzte Schaufel Sägespäne auf den nassen Weg zwischen Zelt und Parkplatz. Und noch eine weitere vor die „Kulleraugen“ des Topolino, weil er wusste, wie sehr der Direktor an dem Wagen hing. Regenspritzer, mit matschiger Erde vermischt, sahen auf dem strahlenden Gelb nicht gut aus. Der Meinung war auch Ferdi. Dann huschte er zurück unter das schützende Dach. Gerade noch rechtzeitig zur Dressurnummer von Marie-Jo.
Marie-Jo stand sicher auf dem Pferderücken, die Arme weit von sich gestreckt und lachte ins Publikum, während ihr brauner Wallach King seine Kreise in der Manege drehte. Der goldene Federbusch auf seinem tief nach unten gebunden Kopf wippte dazu im Takt der Galoppsprünge genauso wie ihr kurzgeschnittener Rock. Das Publikum klatschte im gleichen Rhythmus. Die Luft roch nach Sägemehl gemischt mit dem Schweiß der Pferde.
„Das ist die Zirkusluft. Das ist wie Parfüm“, sagte der Senior, der auf seinem mit einem geschnitzten Pferdekopf verzierten Stock gestützt, hinter dem Vorhang zur Manege stand, das Treiben beobachtete und einen tiefen Atemzug dieses besonderen Dufts in sich einsog. Sein Sohn Luigi, der neben ihm stand, sah es genauso und nickte. Dann ein Salto rückwärts und Marie Jo landete am Boden. Ferdi, der eben noch den Vorplatz trockengelegt hatte, drückte am Tonmischer einen Knopf und eine Fanfare ertönte. Marie Jo verbeugte sich. Applaus. Der Vorhang öffnete sich und das Pferd verschwand im Manegen Ausgang.
„Das war der Zirkus Zampanello. Wir freuen uns, dass sie unsere Gäste waren.“ Im Scheinwerferlicht wurde Direktor Luigi Zampanello sichtbar, der in diesem Moment in den Lichtkegel trat. Das Mikrofon in der Hand und mit ein paar Schweißperlen auf der Stirn verkündete er das Ende der Vorstellung.
Klappentext
Luigi Zampanello ist der Impresario des gleichnamigen Familienzirkus. Und das bereits in der siebten Generation. Doch Existenznöte nagen am Selbstverständnis des Zirkus, der auf Baumarktparkplätzen der Vorstädte seine Zelte aufschlägt. Ein Löwendompteur mit abgemagerten Raubkatzen soll Besserung in die Zirkuskasse bringen. Doch Gerichtsvollzieher, Veterinäre und Grünflächenämter machen den Fahrenden das Leben zusätzlich schwer. Den nahenden Untergang vor Augen wird geliebt und gefeiert, gelebt und gestorben und vor allem gekämpft. Und doch ist das Ende nur der Anfang neuer Weltsensationen, denn der Zirkus ist unsterblich!
„Weltsensationen“ sind Geschichten vom langsamen Sterben aber auch von Auferstehung, Freude und Glück. Geschichten einer Schicksalsgemeinschaft, die den Zusammenhalt feiert, in der jeder über sich hinauswächst, mit List überlebt und mitunter zu neuer Größe findet, an dem einen magischen Ort – der Manege.
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